Sehr geehrte Damen und Herren,
mit Beginn der Corona-Pandemie stieg im Hinblick auf den Infektionsschutz auch die Erbringung der Arbeitsleistung im Homeoffice. Leider war bis dahin nicht klar geregelt wie Unfälle im Homeoffice versichert waren. Klar war, dass der gesetzliche Versicherungsschutz nicht überdehnt werden sollte. Sowohl der Gesetzgeber als auch der für die gesetzliche Unfallversicherung allein zuständige 2. Senat des Bundessozialgerichts (BSG) haben neue Regelungen für die Teilbereiche der gesetzlichen Unfallversicherung geschaffen, in denen der Schutz im Homeoffice der Arbeit im Betrieb gleichgestellt werden soll. Unklar war jedoch weiterhin, welche häuslichen Gefahrenquellen sowie insbesondere Wege innerhalb des eigenen Haushalts als auch Wege außerhalb des häuslichen Bereichs der gesetzlichen Unfallversicherung unterfallen.
Nachstehend erläutern wir die gesetzlichen Grundlagen des Versicherungsschutzes sowie die Änderungen der Rechtsprechung und die sich daraus ableitenden Folgen.
I. Gesetzliche Grundlage
Zum 18.06.2021 ist § 8 SGB VII, der Regelungen zum Arbeitsunfall enthält, geändert worden. Der Versicherungsschutz wird arbeitnehmerfreundlicher ausgestaltet und erstreckt sich nunmehr auch auf Tätigkeiten, welche im Haushalt oder an einem anderen Ort als der Betriebsstätte ausgeübt werden. Darüber hinaus wird der Versicherungsschutz auch für privat veranlasste Wege im Homeoffice während der Arbeitszeit sowie Wege zu und von der Kinderbetreuungseinrichtung erweitert.
Der § 8 SGB VII ist wie folgt geregelt:
§ 8 Arbeitsunfall
(1) Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach § 2, 3 oder 6 begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Wird die versicherte Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort ausgeübt, besteht Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte.
(2) Versicherte Tätigkeiten sind auch
(…)
2a.
das Zurücklegen des unmittelbaren Weges nach und von dem Ort, an dem Kinder von Versicherten nach Nummer 2 Buchstabe a fremder Obhut anvertraut werden, wenn die versicherte Tätigkeit an dem Ort des gemeinsamen Haushalts ausgeübt wird,
(…)
Der Gesetzgeber begründet die Änderung der Regelung damit, dass dadurch eine Versicherungslücke geschlossen wird, die sich bei Tätigkeiten gezeigt hat, die von zu Hause aus erbracht werden.
II. Rechtsprechung des Zweiten Senats des BSG
Aufgrund der Gesetzesänderung hat auch der 2. Senat des BSG seine bis dahin eher zurückhaltende Rechtsprechung im Hinblick auf eine Ausdehnung des Versicherungsschutzes auf den häuslichen Bereich geändert und folgt nun einer arbeitnehmerfreundlicheren Linie für Unfälle im häuslichen Bereich.
1. Versicherte Tätigkeit
Bereits die allgemein gehaltene Definition des Arbeitsunfalls in § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII stellt auf Unfälle ab, welche Versicherte infolge einer versicherten Tätigkeit erleiden. Damit spielt bereits der Ort des Geschehens für das Eingreifen des Versicherungsschutzes keine entscheidende Rolle.
Nach Ansicht des BSG ist daher auf die Handlungstendenz der Versicherten, also danach, ob sie mit der zum Unfallereignis führenden Verrichtung eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollen und diese Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird, abzustellen (objektive Handlungstendenz).1
Insbesondere ist hierbei eine Würdigung der gesamten Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Dabei sind insbesondere der Unfallzeitpunkt, der konkrete Ort des Unfallgeschehens sowie dessen objektive Zweckbestimmung als äußere Indizien zu berücksichtigen. Die Beweislast trägt hierbei der Versicherte.
Für das BSG stellte das Bedienen der heimischen defekten Heizungsanlage, welche zur Verpuffung im Heizkessel und damit zur Verletzung des Versicherten führte ein Arbeitsunfall dar, welcher der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Begründet wurde dies damit, dass die Überprüfung der Heizung auch der Erwärmung der privaten Räume und damit auch dem Arbeitsplatz des Versicherten diente.
Nicht versichert hingegen ist ein Vorfall, welcher dazu führt, dass der Versicherte um 1:30 Uhr auf der Haustreppe stürzte, um in den Keller zu gehen, um den Ablauf eines Computerprogramms zu kontrollieren, welcher sich dort in einem Serverraum befand.
Im Ergebnis sind daher typische Beweisschwierigkeiten bei Tätigkeiten im Homeoffice im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu prüfen.
Weiterhin stellt sich die Problematik, ob die sich im Haushalt des Versicherten befindlichen Gefahrenquellen, welche für die Unfälle ursächlich sind, den Unfallversicherungsschutz unterfallen.
Auf der einen Seite wurde dies früher mit dem Argument abgelehnt, dass der Arbeitgeber keinen Einfluss auf die häuslichen Gegebenheiten des Arbeitnehmers hat. Von dieser Rechtsprechung hat das Bundessozialgericht jedoch Abstand genommen und anerkannt, dass auch häusliche Gefahrenquellen, welche außerhalb des Macht- und Einflussbereiches des Unternehmers liegen, dem Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegen.
Insbesondere ist es auch nicht erforderlich, dass der jeweilige Gegenstand ausschließlich für betriebliche Zwecke genutzt wird. So kann ein privater Gegenstand des Bürobedarfs, welcher unternehmensdienlich eingesetzt wird eine Gefahrenquelle für die Anwendung der gesetzlichen Unfallversicherung darstellen. Vom Versicherungsschutz hingegen ausgenommen sind Gefahren, die durch eingebrachte Gegenstände verursacht werden, die auch im Betrieb nicht versichert wären. Typische Fälle sind hierbei Bissverletzungen des eigenen Hundes2 oder Insektenstiche durch geöffnete Fenster.3
2. Wege innerhalb und außerhalb des eigenen Haushalts
Vorliegend ist zu unterscheiden zwischen Unfällen, welche sich auf den Wegen im Haus bzw. innerhalb der Wohnung sowie Wegen außerhalb des eigenen Haushalts ereignet haben.
a. Wege innerhalb des eigenen Haushalts
Bei Unfällen innerhalb des häuslichen Bereiches handelt es sich um Betriebswege nach § 8 Abs. 1 S. 1 SGB VII, welche unfallversichert sind, wenn diese den innerhäuslichen Weg zur erstmaligen Tätigkeitsaufnahme im Homeoffice betreffen.
Ebenfalls unstreitig ist, dass sich der Versicherungsschutz neben der eigentlichen versicherten Tätigkeit auch auf Wege zur Erfüllung der versicherten Tätigkeit erstreckt. Dies kann beispielsweise der Weg zum Drucker in einem anderen Raum sein.
Abgelehnt werden hingegen von der Rechtsprechung Wege im eigenen Haushalt zum Holen eines Getränks, zur Nahrungsaufnahme oder zum Toilettengang4. Während diese Wege in der Unternehmensstätte von der Rechtsprechung versichert sind, soll dies somit im Homeoffice nicht gelten.
Ob diese Rechtsprechung jedoch dauerhaft aufrechterhalten wird, erscheint fraglich. Gerade vor dem Hintergrund, dass bereits auch alle sonstigen Betriebswege, unabhängig davon ob diese im Homeoffice oder in der Unternehmensstätte erbracht werden, bereits dem Versicherungsschutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegen. Insbesondere ist kein Grund ersichtlich, weshalb die soeben beschriebenen privaten Wege innerhalb der Arbeitszeit unterschiedlich behandelt werden sollen. Es ist davon auszugehen, dass auch hier zukünftig eine Angleichung durch die Rechtsprechung erfolgen wird.
b. Wege außerhalb des eigenen Haushalts
Mit Durchschreiten der Außentür des Wohngebäudes liegen sogenannte Wegeunfälle vor, welche nach § 8 Abs. 2 SGB VII versichert sind.
Insbesondere durch § 8 Abs. 2 Nr. 2a SGB VII wurde klargestellt, dass auch die Personen, welche ihre Tätigkeit im Homeoffice ausüben, jedoch Wege zur außerhäuslichen Betreuung ihrer Kinder zurücklegen, dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung unterliegen.
Das Landessozialgericht Bayern hat den Versicherungsschutz auch auf einen Arbeitnehmer, welcher im Homeoffice seine Tätigkeit in Vollzeit erbracht hat und während einer Mittagspause auf dem Rückweg vom Erwerb einer Mittagsmahlzeit verunglückt ist, angewendet. Nach Ansicht des LSG Bayern unterfallen auch diese Arbeitnehmer dem gleichen Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung gemäß § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII.5
Dies entspricht auch der Rechtsprechung des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen, wonach Wege vom Homeoffice zur Betriebsstätte, welche eingelegt werden, um der Anwesenheitsverpflichtung zu entsprechen, regelmäßig dem Schutz der Wegeunfallversicherung unterstehen.6
III. Fazit
Sowohl der Gesetzgeber als auch die Rechtsprechung haben den Schutz der Arbeitnehmer, welche im Homeoffice arbeiten, im Hinblick auf den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz gestärkt. Zwar ist noch keine vollständige Angleichung von Arbeitnehmern im Homeoffice und Arbeitnehmer, welche ihre Arbeitsleistung in der Betriebsstätte erbringen, erfolgt, jedoch hat das Bundessozialgericht mit seiner Rechtsprechung zur objektiven Handlungstendenz bereits klare Kriterien für die Ermittlung des Versicherungsschutzes aufgestellt und damit bestehende Unsicherheiten eingeschränkt.
Über die weitere Entwicklung zu diesem Thema werden wir Sie auf dem Laufenden halten. Gerne können Sie uns bei bestehenden Fragen zum Thema des Unfallversicherungsschutzes im Homeoffice kontaktieren.
1BSG 27.6.2024-B 2 U 3/22 R; BSG 27.6.2024-B 2 U 8/22 R.
2BeckOK/Ricke/Kellner, 15.11.2024, SGB VII § 8 Rn. 221.
3Bieresborn WzS 2022, 3 (10).
4BSG NJW 2017, 508; SG München NZA-RR 2019, 616.
5LSG Bayern 12.5.2021-L 3 U 373/18.
6LSG Nordrhein-Westfalen 9.11.2020-L 17 U 487/19.
Michael Koch
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Rechtsanwalt
Stephanie Neblung
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Rechtsanwältin
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