Sehr geehrte Damen und Herren,
Kann der Arbeitgeber die private Dienstwagennutzung einfach entschädigungslos streichen? Das BAG bestätigt und konkretisiert seine bisherige Rechtsprechung (BAG, 21.03.2012 - 5 AZR 651/10) hinsichtlich der Wirksamkeit und den Anforderungen an den Widerruf der privaten Nutzung eines Dienstfahrzeuges. Darüber berichten wir nachstehend.
Praxisrelevanz und Problemstellung
Die private Nutzung eines Dienstwagens ist für viele Beschäftigte ein geschätzter und wichtiger Gehaltsbestandteil. Die Möglichkeit, einen Dienstwagen auch privat nutzen zu dürfen, ist für viele längst kein bloßer Bonus mehr - sondern eine zentrale Voraussetzung für die Aufnahme einer Arbeitsstelle. Gerade im Außendienst oder bei längerer Anfahrt ist die private Nutzungsmöglichkeit oft ein entscheidendes Kriterium bei der Stellensuche. Umso sensibler ist der Umgang mit dieser Zusatzleistung, wenn das Arbeitsverhältnis gekündigt oder die Arbeitnehmer freigestellt werden.
Doch was passiert mit diesem Vorteil, wenn das Arbeitsverhältnis gekündigt wird? Ist der Arbeitgeber berechtigt, die private Nutzung sofort zu widerrufen - womöglich ohne Ausgleich?
Das Bundesarbeitsgericht hatte sich in seinem Urteil vom 12.02.2025 - 5 AZR 171/24 mit genau dieser Frage zu befassen. Die Entscheidung betrifft nicht nur die Gestaltung von Arbeitsverträgen, sondern auch die Frage, ob die Ausübung des Widerrufsrechts im Einzelfall nicht nach billigem Ermessen des Arbeitgebers erfolgte und demnach keinen Bestand haben kann. Arbeitgebern gibt das Urteil mehr Spielraum - doch nicht ohne Grenzen.
Der Sachverhalt
Der Kläger war als kaufmännische und operative Leitung bei der Beklagten beschäftigt. Die Beklagte ist ein Seniorenzentrum. Dem Kläger wurde von der Beklagten im Rahmen des Arbeitsvertrages ein Dienstwagen der Mittelklasse zur Verfügung gestellt, den er auch privat nutzen durfte. Jedoch sah der Arbeitsvertrag vor, dass die Beklagte das Recht zur Privatnutzung des Dienstwagens dann widerrufen darf, wenn „das Arbeitsverhältnis gekündigt ist und der Arbeitgeber den Mitarbeiter berechtigt von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt oder suspendiert hat“. Ferner war im Arbeitsvertrag vereinbart, dass die Beklagte berechtigt sei, den Kläger im gekündigten Arbeitsverhältnis freizustellen.
Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis ordentlich aus betrieblichen Gründen zum 31.8.2023 und stellte den Kläger bis zum Ablauf der Kündigungsfrist unwiderruflich frei. Die Wirksamkeit der Kündigung wurde rechtskräftig festgestellt. Die Beklagte forderte den Kläger am 08.5.2023 im Zuge der Kündigung auf, den Dienstwagen bis zum 24.5.2023 zurückzugeben. Der Kläger entsprach der Aufforderung der Beklagten zur Rückgabe des Dienstwagens am 23.5.2023.
Mit seiner Klage machte der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung aufgrund der entgangenen Privatnutzung geltend. Das ArbG Köln und das LAG hatten die Klage abgewiesen.
Die Entscheidung des BAG
Der Fünfte BAG-Senat gab der Revision teilweise statt. Der Kläger habe nur Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung für den Zeitraum 23. bis 31.5.2023. Für den Zeitraum 1.6. bis 31.8.2023 bestehe hingegen kein Anspruch.
Zunächst stellt das BAG fest, dass die im Arbeitsvertrag vereinbarte Widerrufsmöglichkeit der Privatnutzung des Dienstwagens durch den Arbeitgeber wirksam sei und einer AGB-Kontrolle am Maßstab der §§ 305 ff. BGB standhalte. Insbesondere sei es interessengerecht, wenn im Zusammenhang mit einer berechtigten Freistellung im Zuge der Kündigung auch der Anspruch auf Privatnutzung des Dienstwagens entzogen werden kann. Die Beklagte habe dem Kläger in dem Kündigungsschreiben berechtigt von der Arbeit freigestellt, da nach den Feststellungen der Vorinstanz ab diesem Zeitpunkt kein Beschäftigungsbedarf für den Kläger bestanden habe.
Im Einzelnen: Die vereinbarte private Nutzungsmöglichkeit eines Dienstwagens ist zunächst prinzipiell als Naturalvergütung (d.h. Sachleistung statt Geld) Teil des Arbeitsentgeltes nach § 107 Abs. 2 Satz 1 GewO. Der Arbeitgeber schuldet daher seinen Mitarbeitern die vertraglich vereinbarte private Dienstwagen-Nutzungsmöglichkeit so lange, bis er ihnen kein Arbeitsentgelt mehr zu zahlen braucht – denn die vereinbarte Nutzungsmöglichkeit kann nicht ohne weiteres vom Arbeitslohn getrennt werden. Wird ein Arbeitnehmer freigestellt oder wird ihm gekündigt, so bleibt sein Lohnanspruch gegenüber dem Arbeitgeber zunächst bestehen. Insofern stellt die Vereinbarung eines Widerrufsrechtes im Falle der Kündigung oder berechtigten Freistellung eine Abweichung von der gesetzlichen Rechtslage dar und ist somit nach § 307 Abs. 3 BGB an der Inhaltskontrolle des AGB-Rechtes zu messen. Das vereinbarte Widerrufsrecht ist grundsätzlich nur dann wirksam, wenn es für den Arbeitnehmer zumutbar ist und ihn nicht unangemessen benachteiligt.
Das BAG bestätigt, dass die Widerrufsklausel mit § 308 Nr. 4 BGB vereinbar ist. Die Klausel sei transparent gefasst, klar und für den Arbeitnehmer verständlich. Insbesondere wurden die Widerrufsgründe ausreichend klar formuliert und bestimmt. Die vergütungstechnischen Auswirkungen des Widerrufs sind für den Arbeitnehmer kalkulierbar. Die Klausel sei dem Kläger auch zumutbar, da im Fall einer berechtigten Freistellung auch die mit der privaten Nutzung denknotwendig verknüpfte dienstliche Nutzung des Dienstwagens restlos entfalle. Eine Ankündigungsfrist sei hingegen grundsätzlich keine Wirksamkeitsvoraussetzung des Widerrufsvorbehalts mehr - anders noch BAG 21.03.2012 - 5 AZR 651/10.
Die unternehmerischen Belange der Beklagten zur Durchsetzung ihrer unternehmerischen Entscheidung überwiegen vorliegend das Interesse des Klägers an einer Privatnutzung des Dienstwagens.
Jedoch zeigt das BAG dem Arbeitgeber auch Grenzen auf: Die Ausübung des Widerrufsrechts durch die Beklagte entsprach nicht billigem Ermessen i.S.d. § 315 Abs. 1 BGB. Die Beklagte habe nicht berücksichtigt, dass bei gewählter Pauschalversteuerung nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG der zu versteuernde geldwerte Vorteil für die Privatnutzung des Dienstwagens nur monatlich und nicht kalendertäglich angesetzt werden kann.
Bei einer Rückgabe des Dienstwagens innerhalb des laufenden Monats trage der Arbeitnehmer die Steuerlast für den gesamten Monat und somit zu einer Zeit, in der er den Dienstwagen nicht mehr nutzen könne. Der Arbeitnehmer wird insofern unangemessen benachteiligt. Daher kann der Widerruf der Privatnutzung grundsätzlich nur zum jeweiligen Monatsende billigem Ermessen entsprechen. Das BAG nahm deshalb eine Ersatzleistungsbestimmung gem. § 315 Abs. 3 BGB vor, wonach ein entschädigungsloser Widerruf der Privatnutzung des Dienstwagens ab dem 31.5.2023 erfolgen konnte.
Fazit
1. Arbeitgeber können die private Dienstwagennutzung wirksam widerrufen, ohne dem Arbeitnehmer eine Entschädigung für den Nutzungsausfall zahlen zu müssen!
Mithin gewinnen sie mehr Flexibilität –sofern die Widerrufsklausel richtig formuliert wird. Andernfalls drohen Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers!
2. Zu beachten bleibt, dass der Widerruf einer privaten Dienstwagennutzung genauso zu behandeln ist, wie der Widerruf anderer Entgeltbestandteile des Arbeitslohnes. Das heißt: Wenn der Widerruf das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung im Arbeitsverhältnis grundlegend berührt - d.h. wenn der Wert der Naturalvergütung (private Dienstwagennutzung) mindestens 25 % des regelmäßigen Verdienstes ausmacht, ist eine Änderungskündigung erforderlich. Dann reicht ein einseitiger Widerruf des Arbeitgebers nicht mehr aus und die Möglichkeit eines entschädigungslosen Entzuges des Dienstwagens entfällt.
Der durch den Widerruf entzogene geldwerte Vorteil muss also weniger als 25% des regelmäßigen Verdienstes ausmachen! Zudem darf ein etwaiger Tariflohn durch den Widerruf nicht unterschritten werden (vgl. Günther/Günther: Widerrufsvorbehalt bei privater Dienstwagennutzung, ArbRAktuell 2011, 107).
3. Das BAG-Urteil verlangt eine klare und transparente Vertragsgestaltung und im Einzelfall die Ausübung billigen Ermessens beim Widerruf:
Der Widerruf darf demnach nicht rückwirkend oder ohne sachlichen Grund ausgesprochen werden - andernfalls hält der Widerruf der Ausübungskontrolle nach § 315 Abs. 1 BGB nicht statt. Bei ermessensfehlerhaftem Widerruf drohen Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers.
Klargestellt hat das BAG in dieser Entscheidung, dass bei einer ordentlichen Kündigung im Regelfall ein Widerruf der Privatnutzung nur zum jeweiligen Monatsende möglich ist. Im Falle einer außerordentlichen Kündigung kann hingegen ein Widerruf der Privatnutzung auch im laufenden Monat, unter Umständen sogar mit sofortiger Wirkung, zulässig sein.
Wenngleich das BAG keine Ankündigungsfrist des Widerrufs verlangt, ist es gleichwohl ratsam, dem Arbeitnehmer eine drei- bis vierwöchige Frist zur Rückgabe des Dienstwagens zu setzen, um nicht Gefahr zu laufen, an der Ausübungskontrolle des § 315 Abs. 1 BGB zu scheitern und dem Arbeitnehmer die Möglichkeit einzuräumen, Ersatz für den Verlust des Fortbewegungsmittels zu beschaffen.
4. Im Falle des Anspruchs eines Arbeitnehmers auf Nutzungsausfallentschädigung - etwa, weil die Widerrufsklausel einer AGB-Kontrolle nicht standhält oder die Ausübung des Widerrufs gegen § 315 Abs. 1 BGB verstößt, ist zu beachten, dass der Schadensersatzanspruch dem Arbeitnehmer nicht als Nettovergütung zusteht. Nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist die private Nutzung des Dienstwagens zu versteuern. Der Schadensersatzanspruch wegen der von der Beklagten zu vertretenden Unmöglichkeit dieses Naturallohnanspruchs tritt an dessen Stelle und ist steuerlich in gleicher Weise zu behandeln (BAG 27. Mai 1999 - 8 AZR 415/98 - BAGE 91, 379).
Sprechen Sie uns an, bevor Sie voreilige Vereinbarungen treffen!
Abschließend sei darauf hingewiesen, dass jeder Einzelfall eine sorgfältige Prüfung des Sachverhaltes erfordert und von der Entscheidungsgrundlage des hiesigen BAG-Urteils abweichen kann.
Bei weiteren Rückfragen stehen wir Ihnen selbstverständlich jederzeit gern zur Verfügung und unterstützten Sie bei der Gestaltung, Anpassung und Prüfung von vertraglichen Dienstwagennutzungsvereinbarungen oder Dienstwagenrahmenverträgen.
mitgeteilt von
Michael Koch
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Rechtsanwalt
Stephanie Neblung
Fachanwältin für Arbeitsrecht
Rechtsanwältin
Aktuelle Beiträge
Mit der Nutzung dieser Website erklären Sie sich mit unserer Verwendung von Cookies einverstanden. Datenschutzerklärung