Medizinrecht 01.11.2010

Thema: Muss das Krankenhaus nachträgliche Rechnungsprüfungen der KKen unddamit verbundene Kürzungen des Krankenhausentgelts ohne Einhaltung desPrüfverfahrens des § 275 Abs. 1 Nr. 1, 1 c SGB V hinnehmen?


Seit der Neuregelung des § 275 SGB V mit dem GKV-WSG zum 01.04.2007 unterliegt das Verfahren zurPrüfung von Schlussrechnungen, sowohl was die Notwendigkeit der vollstationären Krankenhausbehandlungan sich, die Verweildauer, aber auch Auffälligkeiten der Abrechnung betrifft, einem zeitlich reglementiertenPrüfverfahren. Dies führt zu einem bei den Kassen unerwünschten Beschleunigungseffekt in der Bearbeitungder Schlussrechnungen, auf den die Kassen zum Einen mit einer aus Sicht des Unterzeichnendensteigenden Dichte des MDK-Prüfverfahrens nach § 275 SGB V reagieren.

Andererseits versuchen einige Krankenkassen, nachträgliche Prüfungen von ursprünglich unbeanstandetgebliebenen und damit bezahlten Rechnungen vorzunehmen.


Wie kann das Krankenhaus darauf reagieren?


1. Zulässigkeit der Eigenprüfung durch die KKen

a)

Viele Krankenkassen übersehen, dass der Prüfungskatalog des § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V aus Sicht desGesetzgebers abschließend sein sollte. Deshalb erstreckt sich die MDK-Prüfung sowohl auf Voraussetzungen, Art und Umfang der Krankenhausleistung als auch auf Auffälligkeiten bei der Abrechnung. Damit istauch dem MDK die Prüfungskompetenz, bezogen auf die Abrechnung durch die Krankenhäuser zugewiesen.Die im Gesetzestext enthaltene Regelung:

"... sowie bei Auffälligkeiten bei Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung, ... eine gutachtlicheStellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung einzuholen ..."


wurde bereits mit dem Fallpauschalengesetz vom 23.04.2002 eingefügt, wobei das Bundessozialgerichtbereits mit Urteil vom 23.07.2002, B 3 KR 64/01 R, verdeutlichte, dass die Abrechnungsprüfung durch den MDK schon von der Altregelung des § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V erfasst war, da sie der darin geregeltenWirtschaftlichkeitsprüfung im Einzelfall notwendigerweise vorgeschaltet ist.


Die Krankenkassen möchten den Gesetzestext gerade in Bezug auf die Aufgabe der Prüfung der ordnungsgemäßen Abrechnung eng interpretieren, um ohne Einhaltung des zeitlich begrenzten Prüfverfahrens nachträglich noch Rechnungskorrekturen zu ihren Gunsten vornehmen zu können. Es wirddamit argumentiert, dass nachträglich die übersandten Datensätze nochmals geprüft wurden und sich dabei Fehler in der Abrechnung herausgestellt haben.

Prinzipiell erkennt das BSG eine Eigenprüfungskompetenz der Krankenkassen an. So hat das BSG u. a. mit dem Urteil vom 22.04.2009, B 3 KR 24/07 R, entschieden, dass die Krankenkassen verpflichtet sind, die nach§ 301 SGB V übersandten Daten des Behandlungsfalles, insbesondere zur ordnungsgemäßen Abrechnungund der Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung zu prüfen. Dazu hat das BSG betont, dass eine Anzeige nach § 301 SGB V, die nicht den Mindestanforderungen genügt, den zur Abrechnunggebrachten Vergütungsanspruch nicht begründen kann. 


Soweit die Krankenkassen ohne medizinische Unterlagen den Behandlungsfall anhand des Datensatzes überprüfen können, können sie daher auch rechtzeitig eigene Einwendungen gegen die Abrechnungerheben.


b)

Eine Eigenprüfung der Krankenkasse ist allerdings stets dann zu verneinen, wenn eine Prüfung desBehandlungsfalles nur unter Zurverfügungstellung der Behandlungsunterlagen des Falles möglich ist. DieKrankenkasse hat keinen eigenen Anspruch auf Zurverfügungstellung der Behandlungsunterlagen. Dafürmuss die Krankenkasse stets das Verfahren nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V einhalten. Die Kasse darfinsofern auch keine Mutmaßungen über die Rechtfertigung der Rechnung anstellen, ohne dass eineVerifizierung anhand der Behandlungsunterlagen möglich ist. Es bleibt dann prinzipiell bei der Pflicht, dasPrüfverfahren nach § 275 SGB V fristgebunden einzuleiten.


2. Wann/in welchem Zeitraum darf die Krankenkasse eine Eigenprüfung der Abrechnungenvornehmen?


Für den Zeitraum der Eigenprüfungen der Rechnungen durch die Krankenkassen gibt es keine zeitlichen Vorgaben. Die Ausschlussfrist des § 275 Abs. 1 c SGB V ist ausdrücklich auf die Eigenprüfung der Krankenkassen nicht anwendbar. Damit hätten die Krankenkassen die Möglichkeit, jederzeit innerhalb derVerjährungsfrist auch bereits abgeschlossene und bezahlte Behandlungsfälle neu zu prüfen und Rückforderungen durch Verrechnung durchzuführen. Verrechnungen sind indes in aller Regel durchlandesvertragliche Beschränkungen ausgeschlossen.

Das BSG hat in seiner Rechtsprechung stets betont, dass das Verhältnis zwischen Krankenhausträger und Krankenkassen vom Prinzip der vertrauensvollen, professionellen Zusammenarbeit geprägt sein soll.Deswegen hat das BSG in verschiedenen Fallgestaltungen nachträgliche Veränderungen der Abrechnungendurch die Krankenhausträger reglementiert. Das BSG hat mit Urteil vom 17.12.2009, B 3 KR 12/08 R, dieEigenkorrektur der Schlussrechnung durch das Krankenhaus prinzipiell auf einen Zeitraum von 6 Wochennach Rechnungstellung beschränkt (hier findet sich die 6-Wochenfrist des § 275 Abs. 1 c SGB V in anderem Zusammenhang wieder) und im Übrigen eine Rechnungskorrektur außerhalb dieser Frist nur zugelassen,wenn die Nachforderung über 100,00 € bzw. 300,00 € beträgt und mindestens 5 % desAusgangsrechnungswertes erfasst. In diesem wegweisenden Urteil hat das BSG betont, dass sowohl diespätere Nachforderung durch das Krankenhaus wie spätere Rückforderungen seitens der Krankenkassennach Treu und Glauben ausgeschlossen sein können, insbesondere hat das BSG darauf verwiesen, dass ein Krankenhaus nach dem Grundsatz von Treu und Glauben an der Eigenkorrektur einer fehlerhaften Abrechnung dann gehindert sein kann, wenn sie mehr als zwei Jahre nach der Rechnungstellung und damitaußerhalb des laufenden Haushaltsjahres der Krankenkasse vorgenommen wird.


Dementsprechend ist davon auszugehen, dass eine zeitlich stark versetzte nachträgliche Rechnungskorrektur seitens der Krankenkasse, verbunden mit eröffneten Rückforderungen dann nicht mehr vom Krankenhausträger hinzunehmen ist, wenn der Krankenhausträger sich auf den Abschluss des Behandlungsfalles durch beanstandungsfreie Bezahlung der Rechnung sowohl bilanziell als auchfallplanungsbezogen eingestellt hat. Davon ist regelmäßig dann auszugehen, wenn seit der Begleichung der Rechnung durch die Krankenkasse ein Kalenderjahr verstrichen ist, da zwangsläufig davon auszugehen ist,dass die Zahlung der Krankenkassen den Behandlungsfall zum Abschluss gebracht hat und der Zahlbetragals Saldo in die Bilanz Eingang gefunden hat. Insofern geht Unterzeichner davon aus, dass nachträgliche Rechnungskorrekturen, die später als ein Kalenderjahr seit Begleichung der Entgeltrechnung erfolgen,gegen Treu und Glauben verstoßen (Unterzeichner liegen indes Fallgestaltungen vor, bei denen Krankenkassen mehr als zwei Jahre nach Abschluss des Behandlungsfalles nachträgliche Rechnungskorrekturenin vierstelliger Höhe, verbunden mit Verrechnungen vornehmen). Sollten Ihnen Fallgestaltungengleicher Art vorliegen, kann nur empfohlen werden, sich gegen Rückforderungen oder realisierte Verrechnungen, gegebenenfalls auch gerichtlich, zur Wehr zu setzen, zumal angesichts der zu erwartenden Steigerungder Prüfdichte nachträgliche Rechnungskorrekturen liquiditätsrelevant werden können.


Fazit:

  1. Krankenkassen haben, bezogen auf Krankenhausentgeltabrechnungen eine Eigenprüfungskompetenz, insbesondere im Zusammenhang mit der Überprüfung des Datensatzesnach § 301 SGB V.
  2. Eine Eigenprüfung durch die Krankenkassen ohne MDK scheidet da aus, wo die Prüfung zwingendanhand der medizinischen Behandlungsunterlagen erfolgen muss und der Bearbeiter der Krankenkasse nicht über den nötigen medizinischen Sachverstand verfügt.
  3. Die Krankenkassen haben keinen eigenen Anspruch auf Zurverfügungstellung derBehandlungsunterlagen. Diese Kompetenz ist ausschließlich dem MDK nach § 276 SGB Vzugewiesen.
  4. Eine Rechnungskorrektur durch die Krankenkassen ohne Prüfverfahren nach § 275 Abs. 1 Nr. 1SGB V ist (nur) zulässig bei offensichtlich fehlerhafter Datenübersendung nach § 301 SGB V. DieKrankenkasse darf die Bezahlung der Rechnung nur verweigern, wenn begründete Einwändeinnerhalb der Fälligkeitsfrist erhoben werden.
  5. Die nachträgliche Rechnungskorrektur (außerhalb von § 275 Abs. 1 Nr. 1, 1 c SGB V) kann zeitlichnicht unbefristet veranlasst werden, sondern ist nach dem Grundsatz von Treu und Glauben zeitlichbeschränkt/maximal ein Kalenderjahr.

Wenn Sie Fragen oder Anregungen zu diesem Newsletter haben, steht Ihnen Rechtsanwalt Michael Kochgern zur Erörterung zur Verfügung.


Mit freundlichen Grüßen


Michael Koch

Rechtsanwalt